Gedichte aus den 80ern

Krise (1981)

Die Erde hatgenug
genug wasser
genug öl
genug erze
genug pflanzen
genug tiere
genug menschen
Die kriegen nie
genug

Überfällige Amnestie (1985)

Ja, meint ihr
sie wäre ein wellensittich
für fünfzehn mark achtzig
den ihr einsperren könnt
im billigen blechkäfig
eurer feindbilder
 
Laßt die taube fliegen

Konjunktiv (1985)

Wäret ihr doch wirklich
papiertiger
wie es einer vom andern sagt
Wir könnten schnell
ein friedensfeuer
entzünden

Wachstum (1985)

Die portokosten steigen
Die telefonkosten steigen
Die werbekosten steigen
Die heizkosten steigen
Die medienkosten steigen
Die reparaturkosten steigen
Die personalkosten steigen
 
Die austritte steigen

Fast eine Kapitulation (1986)

Wir sind auf den mund gefallen
haben uns aufs ohr gelegt
weil wir über dasselbe
gehauen worden sind
 
Wir haben den kopf verloren
und die beine in die hände genommen
Wir haben uns den magen verdorben
und der atem ist uns ausgegangen
 
Nur das Herz
das schlägt noch
eine etage tiefer
Es ist uns in die Hose
gerutscht

Hans im Glück (1986)

Glück im spiel
Glück in der liebe
Glück im beruf
Glück im lotto
 
Glück im unglück
Zum glück gibt es
das auch

Hoffnungszeichen (1987)

Da frierst du
vor gemütlichkeit
die traurigkeit ist trumpf
Und der von freude spricht
spricht wie ein spieß
der was befiehlt
der so von freude spricht
trägt schwarz
 
Nur dieser kleine latz
unter dem doppelkinn
ist weiß
ein fetzen von dem neuen kleid
 
Oder der rest
der übrigbleibt

Wünschenswertes System (1988)

Ein heilloses durcheinander
keine systematik
weder nach autoren
noch nach sachgebieten
Agatha Christie steht neben Brecht
Heinz Habe neben Fontane
der Brockhaus neben Puzo
Hemingway neben der Bibel
Konsalik neben Goethe
 
Welches prinzip steckt dahinter?
 
Die welt
sie ist noch eine einheit
 
in meinem bücherschrank

Gleich null (1988)

Warum sollen wir noch reden?
Unser schweigen sagt genug
 
Warum sollen wir nicht schweigen?
Unser reden sagt sowieso nichts

Konzert (1989)

(für Werner Hucks)
 
Seine linke hand
ein tausendfüßler auf dem griffbrett
quickstep in dur und moll
als gäbe es weder saiten noch bünde
 
Mein auge
ein verfolger mit hängender zunge
ewig zu spät
 
Mein ohr schwebt schon
im siebten Himmel
 
aus: H.-J.Jaworski „Ich laufe am Rande des Regens“, 1990

© Hans-Jürgen Jaworski